Der BDe 4/4 38 – Blaues Bähnli oder Blausäure-Express? Ein Zeuge der schleppenden Modernisierung einer populären Vorortsbahn

Geschichte und Stellenwert des Fahrzeugs

Die 1913 eröffnete Worblentalbahn (WT) Bern Papiermühlestrasse – Ittigen – Worb Dorf verfügte anfänglich für den Personenverkehr nur über die CFe 4/4 101 bis 103. Die Verlängerung zum Kornhausplatz fiel in den ersten Weltkrieg; erst 1919 gelang es, mit dem CFe 4/4 105 ein weiteres eigenes Triebfahrzeug in Betrieb zu nehmen.

Die WT und die 1927 aus der Fusion der WT mit der Bern – Worb-Bahn entstandenen Vereinigten Bern – Worb-Bahnen (VBW) mussten stets mit sehr wenig Geld auskommen und waren deshalb gezwungen, immer wieder Fahrzeuge in der eigenen Werkstatt zu modernisieren, statt neue Fahrzeuge zu beschaffen. Die Verkehrsverhältnisse an den Endstationen Bern Kornhausplatz und Bern Kirchenfeld machten die Umsetzmanöver stets mühsamer und gefährlicher, weshalb die VBW 1946 ihren ersten Steuerwagen beschaffte (CFt3 80). 1948 folgten die CFt4 81 und 82, 1956 die BFt4 83 und 84. Neue Triebwagen gab es nur in geringer Zahl (Ce 4/4 41 und 42 im Jahr 1948, Be 4/4 43 im Jahr 1961). Um alle fünf Steuerwagen nutzen zu können, mussten ältere Triebwagen umgebaut und modernisiert werden.

Die Erfordernisse des Betriebs mit Vielfachsteuerung führten für die nun als CFe 4/4 36 – 38 bezeichneten Fahrzeuge zu einer radikalen Modernisierung der Technik, die sich aber im Aussehen nicht wirklich manifestierte. Wegen der hohen Auslastung der Werkstätte in Worb zog sich die Fahrzeugmodernisierung über mehr als zehn Jahre hin; der CFe 4/4 38 war 1946 bereit, die Modernisierung des CFe 4/4 36 dauerte von 1946 bis 1951, diejenige des BFe 4/4 37 war 1958 beendet. Dazwischen wurden auch andere Fahrzeuge modernisiert. Ein äusserlich sichtbares Ergebnis dieser Vorgehensweise war, dass die ursprünglich gleichen Fahrzeuge nun unterschiedlich waren, sowohl im Aussehen als auch technisch. Weitere Modernisierungen und Ergänzungen folgten in den 1960er- bis 1980er-Jahren.

Nach der Umstellung der Worblentalstrecke auf 1200 V und der Einführung in den Hauptbahnhof Bern im Jahr 1974 waren die BDe 4/4 36 – 38 nur noch auf der Strecke Bern Kirchenfeld – Gümligen – Worb tätig. Mit den gebraucht aus Pforzheim übernommenen Steuerwagen Bt 85 – 86 konnten nun alle Züge als Pendelzüge verkehren. Die Umstellung der Murilinie auf Trambetrieb führte zur Ausrangierung der BDe 4/4 36 – 38 im Jahr 1988 und zu deren Verkauf an die Montreux – Oberland-Bahn (MOB), welche sie ohne Umnummerierung für Nebenaufgaben in Betrieb nahm. Das Schicksal der drei Wagen nahm dann einen sehr unterschiedlichen Lauf:

Der Stellenwert des BDe 4/4 38 wird heute kontrovers diskutiert. Einerseits stellt er einen Doppelgänger zum betriebsfähigen historischen Fahrzeug BDe 4/4 36 dar, andererseits ist er auch Zeuge davon, wie die VBW ihre Fahrzeuge über lange Zeit einzeln modernisieren mussten und im Ergebnis sich alle Fahrzeuge voneinander unterschieden. Der BDe 4/4 36 sieht von den drei ursprünglich gleichen Wagen am altmodischsten aus, weil er die alte Dachform behalten hat.

Technik

Die CFe 4/4 101 – 103 entsprachen technisch den CFe 4/4 21 – 23 der 1912 eröffneten Bern – Zollikofen-Bahn (BZB). Die BZB und die WT wiesen auch sonst dieselben Normalien auf. Beide Bahnen waren durch lange Strassenbahnstrecken geprägt. Die Fahrleitungsspannung der Worblentalstrecke erreichte nach einigen Verbesserungen der Stromversorgung 850 V, bis sie im Rahmen der Einführung des «Plans 74» auf 1200 V angehoben wurde. Auf der Strassenbahnstrecke in der Stadt Bern waren nur 600 V angesagt.

Die CFe 4/4 101 – 103 entsprachen dem damaligen Stand der Technik für Gleichstrombahnen: Holzkasten, Lyrabügel, Direktkontroller, Anfahr- und Bremswiderstände unter dem Wagenboden, Vakuumbremse. Die heute noch unter der Gem 4/4 121 vorhandenen Drehgestelle entsprechen den ursprünglichen Drehgestellen der CFe 4/4 101 – 103. Auf Strassenbahnstrecken mit 600 V verkehrten die Triebwagen mit reduzierter Leistung, was angesichts der ohnehin gegebenen Geschwindigkeitsbeschränkung nicht ins Gewicht fiel.

Die ursprüngliche elektrische Ausrüstung war wegen der Direktkontroller für die Verwendung in Pendelzügen nicht geeignet, und deren geringe Leistung sowie die Bauweise der Drehgestelle führten zu einer niedrigen Höchstgeschwindigkeit. Infolgedessen wurden bei der Modernisierung des CFe 4/4 38 im Jahre 1946 die Drehgestelle und die elektrische Ausrüstung ersetzt.

Wichtigste technische Daten

Baujahr / Erbauer
1913 SIG / MFO
Länge über Puffer
15,52 m
Breite
2,20 m
Tara
Ursprünglich 22,5 t, zuletzt 25,5 t
Sitzplätze
36
Stundenleistung
Ursprünglich 132 kW, zuletzt 218 kW
Höchstgeschwindigkeit
Ursprünglich 40 km/h, zuletzt 60 km/h

Wichtigste Umbauten des BDe 4/4 38

1927
Umnummerierung von CFe 4/4 103 zu CFe 4/4 38
1938
Ersatz der Lyrabügel durch Pantographen, Neues Getriebe
1946
Neue Drehgestelle von SWS, neue elektrische Ausrüstung mit Hüpfersteuerung von MFO, Anfahr- und Bremswiderstände auf dem Dach, Druckluftbremse, druckluftgesteuerte Vakuumbremse
1955
Entfernung der Vakuumbremse

Der Bahnhistorische Verein Solothurn – Bern (BVSB) und der BDe 4/4 38

Die Geschichte des RBS und seiner Vorgängerbahnen erstreckt sich inzwischen über mehr als 100 Jahre. Dennoch besteht heute noch die Chance, aber nicht mehr lange, eine repräsentative Sammlung von historischen Fahrzeugen zu erhalten, die alle relevanten Epochen und Bauarten repräsentieren. Der BVSB wurde 2016 gegründet, als die akute Gefahr bestand, dass wichtige Vertreter dieser potenziellen Sammlung verschrottet würden, und hat eine Anzahl historische Fahrzeuge geschützt unter Dach abgestellt.

Dank der vom Tramverein Bern nach 2012 durchgeführten Reparatur ist der BDe 4/4 38 in einem ausstellungsfähigen Zustand. Die Generalversammlung des BVSB vom 09.04.2019 hat anch ausführlicher Diskussion bekräftigt, dass das Fahrzeug Bestandteil der Sammlung bleiben soll.

Quellen