Die Gem 4/4 121 des RBS - ein erhaltenswerter Zeitzeuge von über 100 Jahren Eisenbahngeschichte

Geschichte und Stellenwert des Fahrzeugs

Die 1912 eröffnete Bern – Zollikofen-Bahn (BZB) war eine für die damalige Zeit typische, durchwegs in der Strasse verlaufende Überlandbahn, zu vergleichen etwa mit der Wynental- und Suhrentalbahn, der Bremgarten – Dietikon-Bahn oder der Forchbahn. Dementsprechend beschaffte sie Fahrzeuge leichter Bauart mit schmalem Wagenkasten, die für einen für damalige Verhältnisse dichten Fahrplan mit kurzen Zügen gedacht waren.

Für den mit den Anschlussgleisen in Felsenau und Worblaufen vielversprechenden Güterverkehr lieferten SIG und MFO 1912 zwei Gütertriebwagen Fe 4/4 11 und 12. Solche Fahrzeuge waren bei vergleichbaren Bahnen im In- und Ausland verbreitet. Sie dienten einem Betriebskonzept mit häufigen, unkompliziert nach Bedarf geführten kurzen Zügen zu den verschiedenen Anschlussgleisen. Dabei übernahmen sie bis 1925 auch die Beförderung der gemischten Züge auf der heute kaum mehr vorstellbaren Strassenstrecke Worblaufen – Papiermühle – Ittigen.

Mit der Fusion der BZB und der Elektrischen Solothurn – Bern-Bahn (ESB) zur Solothurn – Zollikofen – Bern-Bahn (SZB) erhielten die beiden Fahrzeuge 1922 die neuen Nummern Fe 4/4 31 und 32. Sie dienten weiterhin dem Güterverkehr im Raum Worblaufen und Felsenau. 1961 stand der Bau der Autobahnbrücke östlich von Worblaufen an, bei dem die Anschlussgleise der Worbla AG (heutiger Stufenbau) längere Zeit ohne Fahrleitung betrieben werden mussten. Dazu erhielt der Fe 4/4 32 einen Dieselmotor von Deutz eingebaut. Das Schwesterfahrzeug Nr. 31 wurde wegen der Erhöhung der Fahrleitungsspannung von 850 auf 1250 Volt 1961 abgebrochen.

Der Fe 4/4 32 erhielt per 16. Februar 1959 eine Revision mit Neuanstrich, sein Zustand entsprach immer noch demjenigen nach der Verblechung des Wagenkastens in den 1940er Jahren. Die elektrische Ausrüstung war noch nicht an die neue Fahrleitungsspannung von 1250 V angepasst, was offensichtlich erst nach der Aufnahme vom Mai 1959, aber im selben Jahr geschah. (Foto: Peter Willen)
Der Fe 4/4 32 erhielt per 16. Februar 1959 eine Revision mit Neuanstrich, sein Zustand entsprach immer noch demjenigen nach der Verblechung des Wagenkastens in den 1940er Jahren. Die elektrische Ausrüstung war noch nicht an die neue Fahrleitungsspannung von 1250 V angepasst, was offensichtlich erst nach der Aufnahme vom Mai 1959, aber im selben Jahr geschah. (Foto: Peter Willen)

Seit der Ausrüstung als Zweikraft-Fahrzeug wurde das 1973 zur Gem 4/4 121 umgezeichnete Triebfahrzeug vor allem für den Baudienst verwendet, den Güterverkehr übernahmen modernere und leistungsfähigere Triebfahrzeuge. 1975 und 1976 war die Gem 4/4 121 längere Zeit an die Freiburger Bahnen GFM für die Erneuerung der Fahrleitung auf dem Schmalspurnetz vermietet. Sie diente auch häufig dem Ablad und Verlad von Schmalspurfahrzeugen auf normalspurige Rollschemel. Die ab 1996 einsetzende Ablieferung von neuen Dieseltraktoren führte zu einer starken Abnahme der Einsätze im Baudienst. 2001 erhielt die Gem 4/4 121 eine Sprühanlage gegen Rauhreif an der Fahrleitung eingebaut; dies hatte auch zur Folge, dass sie nur noch im Dieselbetrieb fahren konnte. Mit dem Einbau einer neuen Sprühanlage auf einem anderen Fahrzeug kam es 2015 nach über 100 Dienstjahren zur Abstellung der Gem 4/4 121, die seither auf ihr Schicksal wartet.

Die Gem 4/4 121 ist das letzte verbliebene Originalfahrzeug der BZB und auch der letzte Vorkriegs-Gütertriebwagen der Schweiz ausserhalb der Museumsbahn Blonay-Chamby. Trotz zahlloser Umbauten und Modernisierungen sind seine Herkunft und seine ursprüngliche Bauart noch klar erkennbar. Aus diesen Gründen ist dieses Fahrzeug von historischer Bedeutung und erhaltenswert.

Technik

Güter- und Gepäcktriebwagen waren bei Gleichstrombahnen weit verbreitet, denn sie ermöglichten die Einsparung eines Stückgut- oder Gepäckwagens pro Zug. Für die Beförderung von schweren Güterzügen waren sie naturgemäss ungeeignet, aber bei den meisten Schmalspurbahnen stand die wirtschaftliche Beförderung von kurzen Zügen im Vordergrund.

Wichtigste technische Daten

Baujahr / Erbauer
1912 SIG / MFO
Länge über Puffer
11,53 m
Breite
2,20 m (typisches Strassenbahn-Fahrzeug)
Tara
Ursprünglich 19 t, ab 1960 24 t
Stundenleistung Elektromotoren
132 kW
Leistung Dieselmotor
113 kW
Höchstgeschwindigkeit
45 km/h

Wichtigste Umbauten

ca. 1940
Verblechung des Holzkastens
1959
Anpassung an Fahrleitungsspannung 1250 V
1969
Einbau Deutz-Dieselmotor, dieser ist nach 58 Jahren immer noch vorhanden!
1967
Oxydrot statt grau
1984
Modernisierungen am Wagenkasten
2001
Einbau Sprühanlage gegen Rauhreif an der Fahrleitung

Analoge Fahrzeugen bei anderen Bahnen

Die nachfolgenden Betrachtungen konzentrieren sich auf Beispiele von kurzen und schmalen vierachsigen Gütertriebwagen mit Holzkasten in derselben Grösse und Bauart wie die Gem 4/4 121.

Vereinigte Bern - Worb-Bahnen (VBW)

Zur ursprünglichen Fahrzeugausstattung der Bern – Worb-Bahn (via Gümligen) für den elektrischen Betrieb gehörte der 1910 von SIG und Alioth gebaute Fe 4/4 31. 1927 zum Fe 4/4 25 umgezeichnet, übernahm er 1929 Drehgestelle und Fahrmotoren des Fe 4/4 121. 1950 erlangte der Fe 4/4 25 kurzzeitige Berühmtheit, indem er selbständig von Muri nach Bern Kirchenfeld fuhr und in den Brunnen auf dem Helvetiaplatz krachte. Daraufhin wurde er 1955 abgebrochen.

SIG und MFO lieferten 1913 den Fe 4/4 121 an die Worblentalbahn; dieser war technisch identisch mit den Fe 4/4 11 und 12 der BZB. 1929 wurde er zum Ce 4/4 40 umgebaut und gab bei dieser Gelegenheit Drehgestelle und Triebmotoren an den Fe 4/4 25 ab.

Wynental- und Suhrentalbahn (WSB)

Sowohl die Wynentalbahn (WT) als auch die Aarau – Schöftland-Bahn (AS) hatten von Anfang an vierachsige Gütertriebwagen im Bestand. Die WT verfügte über deren zwei (Fe 4/4 41 und 42, 1904 SWS/SSW), die AS über einen (Fe 4/4 46, 1908 SWS/MFO). Die starke Industrialisierung insbesondere des Wynentals erforderte die Führung immer schwererer Güterzüge; dies führte zum Einbau stärkerer Motoren und 1974 zum Ersatz durch Neubaufahrzeuge. Der De 4/4 42 wurde noch bis 1994 als Dienstfahrzeug genutzt.

Schaffhauser Strassenbahn (SchSt)

Die Schaffhauser Strassenbahn beschaffte 1911 bei SIG und MFO den Gütertriebwagen Fe 4/4 71. Wegen dem stark zunehmenden Güterverkehr genügte dieses Fahrzeug nach kurzer Zeit nicht mehr und 1913 und 1930 wurden Lokomotiven in Betrieb gesetzt, die den Gütertriebwagen in den Stückguttransport abdrängten, der 1966 endete. 1968 wurde der Fe 4/4 71 abgebrochen.

Compagnie Genevoise des Tramways Electriques (CGTE)

Das weit verzweigte Überlandnetz der Genfer Strassenbahn repräsentierte neben der SZB/VBW das grösste Anwendungsgebiet für Gütertriebwagen in der Schweiz. 1911 lieferten SIG und Siemens die Fe 4/4 150 – 155, die den Güterverkehr von den Dampflokomotiven übernahmen. 1932 erhielten die Fe 4/4 153 – 155 zusätzliche Fenster und Sitze eingebaut, um an Sonntagen schwere Reisezüge zu führen. Der Fe 4/4 151 überlebte als einziger die 1960er Jahre, weil 1957 die Schweissanlage des Baudiensts eingebaut wurde. 1972 übergab die CGTE das Fahrzeug der Museumsbahn Blonay-Chamby, wo er inzwischen durchgreifend restauriert im Einsatz steht.

Der Bahnhistorische Verein Solothurn – Bern (BVSB) und die Gem 4/4 121

Die Geschichte des RBS und seiner Vorgängerbahnen erstreckt sich inzwischen über mehr als 100 Jahre. Dennoch besteht heute noch die Chance, aber nicht mehr lange, eine repräsentative Sammlung von historischen Fahrzeugen zu erhalten, die alle relevanten Epochen und Bauarten repräsentieren. Der BVSB wurde 2016 gegründet, als die akute Gefahr bestand, dass wichtige Vertreter dieser potenziellen Sammlung verschrottet würden, und hat eine Anzahl historische Fahrzeuge geschützt unter Dach abgestellt.

Die Gem 4/4 121 als letzter Vertreter der Bern – Zollikofen-Bahn und als Vertreter der einst bei elektrischen Schmalspurbahnen so häufigen Gütertriebwagen verdient eine museale Erhaltung, zumal auch der bald 60-jährige Dieselmotor ebenfalls ein Museumsstück darstellt. Der BVSB hat das Ziel, das Fahrzeug vom RBS zu übernehmen und in einem ersten Schritt seine Erhaltung sicherzustellen. Mittelfristig strebt der BVSB ein Gesamtkonzept für alle historischen Fahrzeuge des RBS an, in das die Gem 4/4 121 eingebettet ist.

Quellen